04.11.2014

Leser_innenbrief: Für dezentrale Unterbringung

Im Artikel "Kriegsflüchtlinge bekämpfen sich in Heimen" in der Neuen Westfälischen wurde von von Konflikten zwischen Flüchtlingen in den Heimen berichtet. Dabei wurden die Konfliktursachen, die aus der infrastrukturellen Unterversorgung resultieren, vernachlässigt.

Ja, es gibt Konflikte unter den Flüchtlingen, aber stellen Sie mal selbst folgendes vor: sie haben gerade eine monatelange lebensgefährliche Flucht hinter sich, haben im Krieg Angehörige verloren, sind verzweifelt, einsam und traumatisiert. Stellen Sie sich weiter vor, sie leben als alleinstehender Mann mit drei anderen Männern in einem 12 m² Zimmer. Mit Ihnen im Raum schlafen/wohnen die nächsten Monate oder Jahre: ein streng religiöser 60-jähriger Katholik, diabeteskrank, will immer nur Ruhe und über den Niedergang der deutschen Sprache lamentieren; ein junger Student, Veganer, Atheist, voller Lebensenergie, will bis tief in die Nacht andere Sprachen lernen und über seine neue Liebe reden; ein Arzt, der gerade seine Familie verloren hat und immer weint und ein 50-jähriger Altlinker der gerade seinen Trennungsschmerz in Alkohl ersäuft. Glauben Sie, das geht lange gut, wenn abends irgendwann das Licht ausgemacht werden muss, wenn nur ein Topf da ist für das Schweinesteak und das vegane Küchlein, wenn einer psychisch nicht mehr kann und anfängt nur noch zu schimpfen und zu schreien? Ich habe mich oft gefragt warum es nicht mehr Stress in der Enge der Heime gibt und habe vor vielen Flüchtlingen, die dort Streit schlichten, Ruhe bewahren, geduldig sind und als Sprachmittler fungieren großen Respekt.

Wenn es wirklich darum geht, ein ruhiges, harmonisches und menschenwürdiges Miteinander zu schaffen, dann braucht es Maßnahmen der Inklusion, ein dezentrales Unterbringungskonzept mit Wohnungsvermittlung und schnelle psychosoziale Unterstützung für die, die es brauchen, statt soziale Kontrolle, Enge, Videoüberwachung und Wachdienste für alle.