21.08.2015

Neue Westfälische: Das Wichtigste zur Flüchtlingssituation

Zeitungsausschnitt

Lokales Bielefeld - Seite 9

Bettennot, Asylverfahren, Taschengeld, Kinderbetreuung, Sicherheit - die NW beantwortet die häufigsten Fragen

VON SEBASTIAN KAISER, ARIANE MÖNIKES UND JENS REICHENBACH

Bielefeld. Mehr als 2.400 Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak, aus den Balkanländern und anderen Teilen der Welt leben aktuell in Bielefeld oder sind hier vorübergehend untergebracht. Sie sind geflohen vor Krieg, Verfolgung oder purem Elend. Unterschiedliche Behörden sind zuständig, mehrere Hilfsorganisationen kümmern sich um sie, etliche Bürger stehen ihnen freiwillig zur Seite. Doch viele Bürger sind auch unruhig und besorgt. Die Redaktion beantwortet häufig gestellte Fragen.

WO KOMME DIE FLÜCHTLINGE ZUERST UNTER?

Das Land betreibt in Bielefeld eine von fünf Erstaufnahmeeinrichtungen. Die Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) verteilt die Erstankömmlinge (aktuell kommen 300 bis 400 täglich) am Abend auf die Landesunterkünfte (Grafik: rote Fahnen), um sie nach Registrierung und Medizincheck spätestens zwei Tage später in andere Kommunen zu vermitteln. Dafür stehen rund 450 Betten in der Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) am Südring zur Verfügung. Doch das reicht nicht. Inzwischen betreibt die ZAB drei zusätzliche Turnhallen in Mitte als Notunterkünfte, um dem Andrang Herr zu werden. Zusätzlich hat das Land 500 weitere Betten in der neuen Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) am Oldentruper Hof eingerichtet. Dort sollen die Menschen bis zu drei Monate bleiben. In dieser Zeit wird ihr Asylantrag geprüft. Aktuell wird die ZUE aber auch als Erstaufnahme genutzt.

WIE VIELE DER ASYLBEWERBER BLEIBEN DAUERHAFT IN DER STADT?

In Bielefeld sind derzeit etwa 1.170 Flüchtlinge dauerhaft untergebracht. Tendenz steigend.

WOHNEN DIE AUCH IN TURNHALLEN?

Nein, einige wohnen in den großen Übergangsheimen der Bielefelder Gemeinnützigen Wohnungsgesellschaft (BGW) an Eisenbahnstraße (172 Betten) und Teichsheide (121 Betten), andere in rund 180 Wohnobjekten, die über das ganze Stadtgebiet verteilt sind.

REICHT DAS WOHNUNGSANGEBOT AUS?

Nein. Die Kommune baut derzeit unter Hochdruck aus: Die Kita Schröttinghausen wird umgebaut, so dass dort fünf Wohnungen für Familien entstehen. In der Kita Friedhofstraße in Senne wohnen 19 Personen. Ein Teil der Pestalozzischule ist Ende August bezugsfertig, ein zweiter Gebäudeteil soll Ende September zum Flüchtlingsheim umgestaltet werden (dann: 86 Betten). Anfang Oktober soll der erste Trakt der Tieplatzschule bezogen werden, der zweite Gebäudeteil soll Mitte November fertig werden (dann: 99 Betten).

Ganz neu: Die Stadt hat Anfang August Kapazitäten von bis zu 70 Betten im Tagungshaus am Rütli vom Reiseveranstalter RUF angemietet. Sollte eine langfristige Einigung erzielt werden, könnten dort bald 170 Personen unterkommen.

Außerdem gibt es fünf betreute Clearinghäuser für minderjährige Flüchtlinge (91 Plätze), die allein nach Bielefeld gekommen sind. 50 weitere sind in Familien untergekommen, knapp 30 wohnen im Rütli.

NACHBARN DER EINRICHTUNGEN SIND UM IHRE SICHERHEIT BESORGT. WIRD DER BEREICH BEWACHT?

Ja, etwa am Oldentruper Hof sind sechs Sicherheitsmitarbeiter 24 Stunden lang im Einsatz. Ihre Hauptaufgabe ist die Ordnung innerhalb des Hauses, Drängler in der Schlange zurückzuschicken und kleine Streitigkeiten zu unterbinden. Auch die Polizei fährt an den Einrichtungen Streife. Das wird erfahrungsgemäß mit der Zeit seltener, denn es gibt dort kaum nennenswerte Einsätze.

VIELE FLÜCHTLINGE SIND SEHR KRANK. WIE GROSS IST DIE ANSTECKUNGSEFAHR?

Gering, schon bei der Erstaufnahme wird eine erste medizinische Sichtung durchgeführt. Besteht der Verdacht auf eine ansteckende Krankheit, wird der Patient sofort in ein Krankenhaus gefahren. Am Oldentruper Hof gibt es zudem eine Isolierstation für 19 Patienten.

WERDEN FLÜCHTLINGSKINDER HIER IN KITAS UND SCHULEN GEHEN?

Ja, Kinder dauerhaft untergebrachter Menschen können in Kitas gehen. Sie besuchen auch die Schulen und gehen in Auffang- und Förderklassen.

WIE LANGE BLEIBEN DIE EINRICHTUNGEN BESTEHEN?

Sowohl die Einrichtungen der Stadt wie auch die des Landes sind auf Dauer angelegt. Der Oldentruper Hof etwa wurde für zehn Jahre gepachtet, der Betreuungsvertrag mit dem Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) läuft im Frühjahr 2016 aus.

WARUM BRINGT MAN FLÜCHTLINGE NICHT IN LEERSTEHENDEN FABRIKHALLEN UNTER?

Für die Unterbringung von Menschen gibt es gesetzlich vorgeschriebene Standards. Sie gelten in Bezug auf Sanitäranlagen, Heizung, Fluchtwege und Brandschutz. Die sind etwa in Sporthallen gegeben, in Industriegebäuden eher nicht. Trotzdem arbeitet der Krisenstab der Stadt aktuell fieberhaft an der Ertüchtigung solcher Gewerbeimmobilien, um die Turnhallen als Notunterkünfte auflösen zu können. Unter dem Motto: Fabrikhallen sind besser als Zeltlager. Bisher machen vor allem Brandschutzbestimmungen eine schnelle Umsetzung schwierig.

WARUM LEHNT DIE STADT AUCH WOHNUNGEN FÜR FLÜCHTLINGE AB?

Die Wohnungen, die der Stadt angeboten werden, sollten im ordnungsmäßigen Zustand sein und den Anforderungen an gesundes Wohnen entsprechen. Sie sollten städtebaulich integriert und preislich angemessen sein. Richtpreis ist der öffentlich geförderte Wohnungsbaupreis. Nicht alle der aktuell angebotenen Wohnungen erfüllen diese amtlichen Kriterien.

WARUM KOMMEN AUCH FLÜCHTLINGE AUS BALKANSTAATEN, OBWOHL DORT KEIN KRIEG HERRSCHT?

Sie werden dort möglicherweise als Minderheit verfolgt. Grundsätzlich hat jeder das Recht, einen Asylantrag in Deutschland zu stellen.

WIE GROSS SIND DIE CHANCEN, ALS FLÜCHTLING ODER ASYLbewerber ANERKANNT ZU WERDEN?

Die Chancen, in Deutschland zu bleiben, sind sehr unterschiedlich. Fast ein Fünftel der Personen, die in Bielefeld untergebracht sind, kommt aus Albanien, gefolgt von Menschen aus Syrien und dem Kosovo. Nach Angaben der Stadt haben Menschen aus Syrien, dem Irak und Eritrea gute Perspektiven. Bei Flüchtlingen aus Eritrea würden bundesweit 75 Prozent der Asylanträge positiv entschieden, bei Personen aus dem Irak oder Syrien sogar 90 Prozent. Hingegen liege die sogenannte "Schutzquote" für Flüchtlinge aus Westbalkanstaaten bei deutlich unter einem Prozent. Bezogen auf alle Herkunftsländer liegt die Anerkennungsquote bei 36 Prozent, Tendenz steigend.

BEKOMMEN FLÜCHTLINGE HIER AUCH BARGELD?

Menschen, die übergangsweise hier sind, erhalten ein Taschengeld, das vom Land bestritten wird: 143 Euro im Monat für Erwachsene, Ehepaare bekommen pro Kopf 129 Euro, für Kinder gibt es knapp 100 Euro. Dauerhaft untergebrachte Menschen erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die sich auf Hartz IV-Niveau bewegen. Zunächst gibt?s 216 Euro plus 143 Euro Taschengeld. Nach Ablauf von 15 Monaten in Deutschland bekommen Alleinstehende insgesamt 399 Euro monatlich.

WELCHE BEHÖRDEN SIND ZUSTÄNDIG?

Die Zentrale Ausländerbehörde als Teil des städtischen Bürgeramtes kümmert sich im Auftrag des Landes um die Erstaufnahme und die medizinische Erstuntersuchung. Dazu gehört auch eine obligatorische Röntgenaufnahme zur Tuberkolose-Diagnose.

Die Ausländerabteilung des Bürgeramtes ist für Aufenthaltserlaubnisse, Visa oder auch Abschiebungen zuständig.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bearbeitet in einer Außenstelle am Stadtholz Asylanträge.

Die Bezirksregierung Arnsberg ist in ganz NRW für die Zuweisung von Flüchtlingen auf Städte und Gemeinde zuständig.

WIE LANGE BLEIBEN DIE FLÜCHTLINGE?

Menschen, die politisches Asyl oder sogenannten Flüchtlingsschutz erhalten, dürfen zunächst für drei Jahre in Deutschland bleiben, so das Bürgeramt. Danach werden ihre Anträge erneut überprüft. Menschen, deren Anträge abgelehnt werden, können einen Duldungsstatus bekommen, etwa wenn die Rückkehr in ihre Herkunftsländer aus humanitären oder praktischen Gründen nicht möglich ist.

KÖNNEN FLÜCHTLINGE IN BIELEFELD ARBEITEN?

In den ersten drei Monaten dürfen sie grundsätzlich nicht arbeiten. Danach ist eine Beschäftigung mit Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit und Erlaubnis durch die Ausländerbehörde möglich, nach 15 Monaten kann die Zustimmung ohne Vorrangprüfung durch die Bundesagentur für Arbeit erteilt werden.