09.01.2013

Artikel: Strahlen gegen Flüchtlinge

In der letzten Ausgabe der Stadteilzeitung "Viertel - Zeitung für Stadtteilkultur und mehr" (Nr. 20) wird über die umstrittenen Versuche Bielefelder Behörden das Alter von jungen Flüchtlingen mit Röntgenbildern zu ermitteln berichtet. Mit freundlicher Genehmigung der Autorin dürfen wir den Artikel hier zur Verfügung stellen.

In Bielefeld versuchen Behörden das Alter von jungen Flüchtlingen mit Röntgenbildern zu ermitteln. Die Methode ist umstritten und quält viele Jugendliche. Lisa-Marie Davis berichtet

Kinder und Jugendliche sind durch das Gesetz besonders geschützt – ob sie nun einen deutschen Pass haben oder nicht. Minderjährige Flüchtlinge, die allein nach Deutschland kommen, werden deshalb in sogenannten Clearinghäusern betreut. So sollte es sein. Aber Behörden glauben den Jugendlichen oft nicht und die Jugendlichen können ihr Alter nicht beweisen, weil sie keine Papiere haben.

Jugendämter und Familiengerichte versuchen dann schon mal das Alter zu ermitteln – auch mit einer umstrittenen Röntgenaufnahme der Hand. In Bielefeld sollten im vergangenen halben Jahr über zehn junge Flüchtlinge geröntgt werden. Eine Untersuchung soll das Evangelische Krankenhaus gemacht haben, so der Verein AK Asyl. Die Klinik streitet das ab. Die anderen Flüchtlinge haben Widerspruch eingelegt. Ihre Verfahren laufen noch. Einige der 70 Jugendlichen, die in den fünf Bielefelder Clearinghäusern leben, wurde aber an ihrem letzten Wohnort geröntgt.

Unzuverlässige Methode

Muhammad* zum Beispiel, der in Aachen ohne Begleitung aufgegriffen wurde. Nach einer Röntgenaufnahme seines Handwurzelknochens bescheinigten Ärzte, dass Muhammad volljährig sei und ihm daher die Inobhutnahme in einem Clearinghaus nicht zustehe. Der Jugendliche beteuerte immer wieder seine Minderjährigkeit. Als er nach Ostwestfalen-Lippe kam, wurde ein weiteres Gutachten angefertigt. Das fiel diesmal zu seinen Gunsten aus. Heute lebt er in dem Clearinghaus der AWO. »Solche Fehlentscheidungen sind leider keine Seltenheit«, berichtet Siavash Miandashti, Leiter der Einrichtung. Die Untersuchungsergebnisse können zwei bis drei Jahre vom tatsächlichen Alter abweichen. Das Röntgen liefert also keinesfalls verlässliche Angaben.

Und es belastet die Jugendlichen sehr. Sie leben in der ständigen Angst, abgeschoben zu werden. Siavash Miandashti berichtet vom 17-jährigen Abdul*, bei dem die Untersuchung zu ständigen Kopfschmerzen und Konzentrationsproblemen führte. Im Clearinghaus hätten die Betreuer ihm jeden Tag versichern müssen, dass er nicht im nächsten Augenblick ausgewiesen werde. »Den Jugendlichen wird mit dem Infragestellen der Minderjährigkeit das Gefühl vermittelt, dass man ihnen auch alles andere nicht glaubt. Dazu gehören auch die Fluchtgründe.« In der Zeit, in der das Feststellungsverfahren läuft, steht den Jugendlichen kein Vormund zu und damit auch kein besonderer Schutz. Unterstützer können dann noch nicht einmal Geld für Kleidung oder Schulbücher beantragen. Siavash Miandashti: »Damit können diese jungen Flüchtlinge erst einmal nicht am Schulunterricht teilnehmen. Das verunsichert.«

Entsetzen und Unverständnis löste das Jugendamt aus, als es einen Jugendlichen röntgen lassen wollte, der in seiner Heimat aus politischen Gründen gefoltert worden war. Dabei war der Jugendliche an den Händen gefesselt gewesen und hatte die Todesschreie anderer Gefangener gehört. »Als er hier ankam, ist er ständig zusammengebrochen«, erinnert sich Zübeyde Duyar von AK Asyl und kritisiert die Behörden. »Es ist kaum zu glauben, dass sie das bei diesem Jugendlichen angeordnet haben. Die Untersuchung hätte sofort zu einer Retraumatisierung geführt.«

AK Asyl legte Beschwerde gegen die Untersuchung ein – mit Erfolg. Das Jugendamt, das in diesem Fall die Untersuchung angeordnet hatte, machte einen Rückzieher. »Inzwischen sind medizinische Untersuchungen zumindest für das Jugendamt keine Option mehr«, erklärt Siavash Miandashti. Im Gegenteil: Gemeinsam mit den Clearinghäusern entwickelt das Amt derzeit ein neues Konzept, das die Altersfeststellung auch ohne medizinische Untersuchung möglich machen soll.

Strahlenbelastung zu hoch

Vor Gericht sind die Untersuchungsergebnisse ohnehin nicht immer verwertbar. Zum Beispiel bewertete das Landgericht Münster Ergebnisse als wertlos, wenn die Jugendlichen der Untersuchung nicht zugestimmt haben. Dies erklärt sich auch aus dem Recht, über medizinische Eingriffe selbst bestimmen zu können.

Auch der Deutsche Ärztetag lehnt das Verfahren ab. Die Beteiligung von Ärzten sei mit dem Berufsrecht nicht vereinbar und die Untersuchungsergebnisse zu ungenau, heißt es in einem Beschluss des Gremiums und außerdem: »Die Altersbestimmung per Röntgenaufnahme bedeutet darüber hinaus eine Strahlenbelastung des wachsenden Organismus, die medizinisch nicht zu rechtfertigen ist.«

Die Flüchtlingsberaterin Zübeyde Duyar teilt die Kritik und fordert ein menschenwürdiges, gerechtes Verfahren. »Das Röntgen richtet sich eigentlich nur gegen die Jugendlichen«, sagt sie. »Im Zweifel für den Angeklagten gilt hier nicht.«

* Die Namen sind zum Schutz der Flüchtlinge geändert